Grundlagen in Verbindung mit Energiebereitstellung
„Als „aerob“ bezeichnet man die in Verbindung mit Sauerstoff vonstatten gehenden Stoffwechselprozesse, welche sich in den Mitochondrien abspielen (intramitochondrialer Stoffwechsel), während der anaerobe Metabolismus außerhalb der Mitochondrien stattfindet (extramitochondrialer Stoffwechsel).“ (Hollmann, Strüder, 2009)
Prinzipiell geht es im Leben und etwas spezifischer im Sport und noch spezifischer im Ausdauersport um Energie und deren Bereitstellung. Man kennt das vielleicht; sitzt man auf der Couch, atmet man ruhig, rennt man einem Bus hinterher und erwischt ihn kaum, schnalzt der Puls in die Höhe und man ist schnell außer Atem. All das wäre nicht möglich ohne Energie – allerdings benötigt der menschliche Organismus durchaus unterschiedliche „Energiesorten“ bei unterschiedlich intensiven Belastungen. Im Ausdauersport sind es im Idealfall zwei, die Fette und die Kohlenhydrate. Wer ein wenig katabol – also muskelabbauend – unterwegs sein will oder eher sein muss, bei dem geht es ans Eingemachte, sprich ans körpereigene Eiweiß, sprich an die Muskulatur.
Früher & heute
In den Anfängen erklärten die „Erfahrenen“ (im Radsport) oder die „Erlaufenen“ (im Laufsport) den Rookies, wie der Hase fuhr oder lief. Nämlich mit möglichst vielen Trainingsstunden und stets mit möglichst hoher Intensität. Denn von nichts kam nichts. Wer nicht mindestens einmal pro Tag weit im roten Bereich unterwegs war oder sich wenigstens übergab, dem konnte nicht geholfen werden, der erreichte niemals sportliche Lorbeeren.
Später dann war man stunden- bis tage- bis wochenlang im untersten Grundlagenbereich unterwegs. Ein wenig Salz in der Suppe in Form von intensiveren Intervalleinheiten machten das Kraut fetter.
Und heute? Bringt man wesentlich mehr Struktur ins Training, was in etwa soviel bedeutet wie: weniger ist mehr. Keine Alibi-Grundlageneinheiten mehr, sondern nur noch die, die wirklich etwas bringen und doch wesentlich mehr flottere bis ganz flotte Sachen. So kann es durchaus vorkommen, dass die besten Ultraradsportler*innen der Welt – also die, die Rennen über 4000 und mehr Kilometer am Stück gewinnen – im Training Sprints, knallharte 2-Min-Intervalle und dergleichen auf ihren Trainingsplänen finden. Oder umgekehrt; dass 800-m-Läufer ganz lockere und verdammt langsame Laufeinheiten absolvieren.
Energie für aerobes – anaerobes Training
War es bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch völlig undenkbar, dass man in einem Wettkampf mehr als etwa 100g Kohlenhydrate pro Stunde zu sich nehmen konnte, so sind wir heute schon wesentlich weiter. Im Profi-Radsport soll man bereits bei 160g pro Stunde angelangt sein. Gerne darf jeder mal ausprobieren, wie sich so etwas anfühlt, wenn man etwa 4 Stunden unterwegs ist… So einfach ist die Sache natürlich nicht, die Kohlenhydratzufuhr muss im Training langsam gesteigert werden, sonst dreht der Magen durch.
Warum aber spielen die Kohlenhydrate oder auch die Fette im Ausdauersport eine so große Rolle und warum probiert man da seit längerer Zeit so intensiv herum? Auf der einen Seite haben selbst sehr austrainierte Sportler*innen mit sehr geringen Körperfettanteilen nahezu endlose Fettreserven an sich. Auf der anderen Seite sind die Kohlenhydratspeicher in der Muskulatur und in der Leber begrenzt, weil schlicht und einfach nicht mehr eingespeichert werden kann.
(„Die Gesamtmenge des im Körper eines untrainierten, 70kg schweren Mannes gespeicherten Glykogens lässt sich berechnen. Wenn man weiß dass die gesamte Muskelmasse etwa 40% der Körpermasse ausmacht und, wie erwähnt, 1kg Muskel 15g Glykogen enthält: 70×0,4×15=420g Muskelglykogen“, Haber, 2001. Da kommen dann noch etwa 80g Leberglykogen dazu, die kann man unter normalen Umständen aber nicht für sportliches Tun nützen. Die stehen eher als autonome Reserve zur Verfügung und können z. B. bei Dopingabusus verbraucht werden. Macht nach Adam Riese dann also etwa 1800kcal an Kohlenhydraten – ohne das Leberglykogen, versteht sich.)
Energie in Form von Kohlenhydraten
Nun ist es so, dass bei der Verbrennung von Kohlenhydraten etwa doppelt so viel Energie pro Zeiteinheit geliefert werden kann als bei der Verbrennung von Fetten. Wie wenn man auf mittlerer Flamme (Kohlenhydrate) oder auf kleiner Flamme (Fette) kocht. Wer intensiver – also meist schneller – unterwegs ist, verbraucht mehr Kohlenhydrate, wer weniger intensiv – also langsamer – unterwegs ist, verbraucht mehr Fette. Voraussetzung dafür ist allerdings ein gut oder besser sehr gut trainierter Fettstoffwechsel. Sprich, man muss sehr viele Einheiten – am besten über Jahre hinweg – im niedrigen Intensitätsbereich unterwegs gewesen sein.
Anfänger*innen im Ausdauersport verfügen – außer sie sind genetische Ausnahmeerscheinungen – über überhaupt keinen trainierten Fettstoffwechsel. Da läuft quasi alles über die Kohlenhydrate. Und schon sind wir bei des Pudels Kern. Wem es gelingt, unglaublich große Mengen an Kohlenhydraten zu sich zu nehmen, unter Belastung versteht sich, der ist im Vorteil. Denn der braucht im idealsten Fall der Fälle überhaupt keinen mühsam antrainierten Fettstoffwechsel, der noch dazu viel weniger Energie pro Zeiteinheit liefert – Fragezeichen, Fragezeichen, Fragezeichen. Wenn dies wirklich gelänge, könnte man mit wesentlich geringerem Zeitaufwand und ausgeklügelter Trainingsplanung mit vielen unterschiedlich-intensiven Reizen wesentlich bessere Leistungen erzielen. Lockere, langsame Trainingseinheiten im Grundlagenbereich kosten Zeit, verdammt viel Zeit.
Allerdings gibt es da mehrere Häken. Erstens machen lockere Einheiten ja auch mächtig Spaß, was gibt es schöneres, als easy durch die Gegend/Natur zu cruisen, den Sonnenschein zu genießen und die Vögel zwitschern zu hören… Zweitens sind hauptsächlich intensive Einheiten eines: intensiv und damit UNANGENEHM… Drittens sprechen wir hier eher vom Leistungs- bis Hoch-/Höchstleistungssport. Wer etwas für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden tun und gleichzeitig ein wenig Leistungssteigerung erfahren/erlaufen möchte, tut weiterhin gut daran, seine Einheiten meist im Grundlagenbereich zu absolvieren. Und sein Trainingssüppchen nur vorsichtig zu salzen, denn ihr wisst ja, versalzt ist schnell mal was…
Trainingsgestaltung
Wie also plant man nun sein Training, respektive lässt es planen, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Energiebereitstellungen?
Zunächst einmal geht es um die Zielsetzung. Die sollte realistisch, fordernd, zeitlich determiniert und klar definiert sein. Es sollte vor allem zum jeweiligen Individuum mit all seinen Vorerfahrungen und Voraussetzungen passen. Wer das Setzen eines Zieles nicht alleine zusammenbringt, kann dafür durchaus einen Trainer oder eine Mentorin zu Rate ziehen. Wie übrigens bei der gesamten Trainingsplanung und -begleitung.
Natürlich macht ab einem gewissen sportlichen Niveau eine immer wiederkehrende Leistungsdiagnostik Sinn. Dabei sollte man darauf achten, dass die Bedingungen und der Testablauf selbst so ähnlich und damit so vergleichbar wie möglich sind. Beispiel: bei einem Laktat-Stufentest mit VO2-max-Messung auf dem Ergometer macht es einen gehörigen Unterschied, ob man Belastungsstufen von 1, 2 oder 5 Minuten hernimmt. Es macht einen gehörigen Unterschied, ob man mit seinen eigenen Rennradschuhen/Pedalen oder lediglich mit Sportschuhen fährt. Es macht einen gehörigen Unterschied, ob man bei 10 oder 35 Grad testet. Selbst die Vorbelastungen an den Tagen davor sollten „so gleich wie möglich“ sein und selbstverständlich auch die Ernährungs- und Hydrationssituation.
Klar, Laborbedingungen wird man nie zu 100% schaffen können, aber die einzelnen Parameter sollten eben zumindest so ähnlich wie möglich sein. Nur dann können maximale Sauerstoffaufnahme, die Herzfrequenzbereiche, die individuelle aerobe/anaerobe Schwelle usw. halbwegs seriös bestimmt werden. Im Idealfall wird ein positiver Verlauf (also eine Leistungssteigerung) ermittelt und das Training kann angepasst werden.
Trainingsplanung Profi & Anfänger
Des Weiteren ist es zwangsläufig so, dass der momentan weltbeste Mittelstreckenläufer aus Norwegen gänzlich anders – nämlich wesentlich mehr, wesentlich schneller und wesentlich härter – trainieren wird als der ambitionierte Läufer aus Griechenland, der sich zum ersten Mal über die Marathondistanz wagen und eine Zeit um die 3:15h anpeilen möchte. Logisch sollte es auch sein, dass der Trainingsumfang des weltbesten Ultra-Radsportlers höher sein wird als jener eines Freizeitradlers, der vielleicht ab und an mal an einem Radmarathon teilnehmen möchte.
Für alle ehrgeizigen Sportler*innen, es macht keinen Sinn, das Trainingsprogramm eines Spitzensportlers zu „kopieren“ und ein wenig „anzupassen“ (also z. B. vom Tempo her). Damit steuert man mit ziemlicher Sicherheit recht flott ins Übertraining oder Richtung Verletzung seiner passiven Strukturen. Spitzensportler*innen leben für ihren Sport und sind meist Vollzeitprofis. Außer Trainieren, Essen, Schlafen und Regenerationsmaßnahmen steht nicht viel am Programm. „Normale Menschen“ müssen meist arbeiten, haben Familie, Freunde, Haustiere. Da kommt vor allem die Regeneration zu kurz, und natürlich können die wenigsten neben all den „Nebengeräuschen“ noch 30-40h proWoche Rad fahren, um das nächste Transcontinental zu gewinnen…
Trainingsprogrammgestaltung
Training und Trainingsplanung/-steuerung können also stets nur individuell sein. Es ist unmöglich und vollkommen unseriös, Standardtrainingspläne zu verkaufen. Die berücksichtigen weder die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, die jeweiligen Befindlichkeiten, die von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde komplett anders sein können. Und sie berücksichtigen z. B. auch nicht Wind und Wetter oder andere Rahmenbedingungen.
Generell kann man sagen, dass gerade sehr viel im Umbruch ist. Die Maxime, dass man zu 98% im Fettstoffwechselbereich unterwegs sein muss, um möglichst viele Mitochondrien aufzubauen, mag vielleicht nicht mehr gelten. Die Maxime, dass man ausschließlich mit HIT-Training – also mit hochintensivem und anaerobem Training – zu seinem Ziel kommt, ebenfalls nicht. Vor allem im Freizeitsportbereich schießt man sich mit Zweiterem schneller ab, und zwar so richtig, als einem lieb ist…
Es ist die intelligente Kombination aus allen möglichen Trainingseinheiten in unterschiedlichen Trainingsintensitäten. – Diese muss von Individuum zu Individuum verschieden sein. Und natürlich ist es auch so, dass die exakten Trainingsaufzeichnungen eines Jahres als Basis für das nächste Jahr herangezogen werden können. Nachdem sich aber die Leistungsfähigkeit und damit die Belastungsverträglichkeit hoffentlich zum Positiven verändert haben werden, kann man nicht exakt dasselbe trainieren wie im Jahr davor und darauf hoffen, dass man exakt die gleichen oder gar bessere Leistungen bringen wird…
Training ist eine sehr komplexe und herausfordernde Sache. Im Prinzip ist alles Training, trainiert man nicht seinen Körper, trainiert man sein Gehirn – das nicht nur strenggenommen, sondern auch weniger strenggenommen klarer Weise zum menschlichen Körper dazugehört. Lesen, Schreiben, Rechnen, Rolle vorwärts, Rad fahren, Laufen, Schwimmen, Seiltanzen und das ganze Leben. Stets werden sowohl das Gehirn als auch der Körper aufgrund der fast unendlichen Reizstimulationen trainiert, die menschlichen Strukturen adaptieren und man verändert sich. Nur wer das verstanden hat, kann auch mit Hirn trainieren.
Zielsetzungen
Letztendlich kommt es darauf an, WAS man eigentlich erreichen will mit seinem Training. Wer etwa bei einem Radrennen so oft und hart attackieren möchte wie der x-fache Weltmeister (Cyclocross und Straße zusammengerechnet) Mathieu van der Poel, der muss im Training wohl relativ viele sehr kurze, harte Antritte, die weit in den anaeroben Bereich hineinreichen, absolvieren. Dabei zwingt man den Körper, aus dem anfallenden Laktat nach und nach und immer mehr Energie zu gewinnen. Zusätzlich schult man seine Psyche, solche Belastungen auch immer mehr und besser zu tolerieren.
Wer bei einem Zehnfach-Ironman starten und auch ins Ziel kommen möchte, tut gut daran, hauptsächlich im Grundlagenbereich, und dies ziemlich bis sehr lange, unterwegs zu sein. Wenngleich die intensiveren Dinge nicht vernachlässigt werden sollten. Abwechslung tut hier gut und andere, heftigere Reize sorgen für durchaus bringvolle Anpassungen. Eine höhere VO2max bedeutet, dass man auch bei einem gewissen Prozentsatz der VO2max – sagen wir bei 55% – schneller unterwegs ist als zuvor. Natürlich muss man hier mit Fingerspitzengefühl vorgehen, wenngleich es gerade zu Beginn eine try-and-error-Geschichte sein wird. Nur weil Athletin X mit dem und dem Programm immer besser wird, heißt das noch lange nicht, dass Athlet Y ebenfalls Erfolg haben muss damit…
Grober Leitfaden
Eines kann man vielleicht schon generalisieren. Wer sehr, sehr lange unterwegs sein möchte/muss also etwa im Ironman oder bei Ultraläufen/-radrennen, der wird im Training hauptsächlich locker und damit aerob arbeiten. Wer bei sehr kurzen Wettkämpfen starten möchte – etwa bei 800-m-Läufen oder über 100m Freistil (Schwimmen…), der muss logischerweise auch im Training vermehrt schnell bis sehr schnell und damit auch anaerob unterwegs sein. Um wie der eben erwähnte Super-Radprofi fahren zu können, muss viel aerobes Training mit sehr vielen kurzen, anaeroben Geschichten kombiniert werden – und darauf hoffen, dass eine ähnliche Genetik (also z. B. so einen Großvater und so einen Vater wie Superstar Mathieu) vorhanden ist, sonst wird die Luft sehr dünn…
Fazit zur Trainingsplanung
Wer sich von diesen Zeilen die Erleuchtung hinsichtlich perfekter Trainingsplanung – unter Berücksichtigung verschiedener Energiebereitstellungssysteme – erwartet hat, mag eventuell enttäuscht worden sein. Feiner wäre es jedoch, wenn man mehr Feingefühl für seinen Körper, respektive für die der zu Trainierenden – erhalten hätte. Körperliches Training gehört zum sich kontinuierlich adaptierenden Leben, und dieses könnte kaum komplexer und komplizierter sein. Nur wer das verstanden hat, wird sich bewusst, wie schwierig Training eigentlich ist. Und doch so leicht, weil so wunderschön. In diesem Sinne – hang loose…
PS: Zum Abschluss noch zwei kleine Hinweise, weil oft falsch verstanden. Wer sich zum Ziel gesetzt hat, abzunehmen, der benötigt eine negative Energiebilanz. Die darf nicht zu hoch ausfallen, sonst gibt es den berühmten Jo-Jo-Effekt. Dazu muss man aber nicht zwangsläufig im Fettstoffwechsel – also im niedrigen Intensitätsbereich – unterwegs sein, sondern nur weniger Energie zu sich nehmen als man verbraucht. Und „intensives Training“ muss nicht zwangsläufig anaerob sein. Niemand wird bestreiten, dass 15x1000m an seiner individuellen Schwelle nicht intensiv sind. Dabei bleibt man aber – weil ja an der „individuellen Schwelle“ und nicht darüber im aeroben Bereich… jetzt aber wirklich hang loose!